Vortrag in Kühsen, Schleswig-Holstein

Wie Pferd und Reiter das Gleichgewicht finden


Auch den zweiten Teil der Vortragsreihe „Reiten in Balance – Stellung, Biegung, Geraderichten“ von Petra Köpcke habe ich mir nicht entgehen lassen. Vor ca. 40 Zuhörern hat sie in Kühsen (Schleswig-Holstein) mit vielen Bildern, Videos und Erklärungen den Teilnehmerinnen erläutert, wie Reiter und Pferd ins Gleichgewicht finden und was dafür an Arbeit wichtig und nötig ist. Dabei hat sie wieder mit viel Fachwissen die Anatomie und Biomechanik des Pferdes erläutert und verständlich gemacht.

In diesem zweiten Vortrag ging es um die natürliche Schiefe, das Geraderichten und das Reiten von Wendungen. Bevor man ein Pferd geraderichtet, sollte man die Selbsthaltung erarbeitet haben – das war ja Inhalt des ersten Vortrages.

In diesem Vortrag hat Petra uns einiges an Bildern und Videos gezeigt, um unseren Blick zu schulen (ist ein Pferd in Selbsthaltung ja/nein?), Wissen vermittelt (was bedeutet Selbsthaltung und natürliche Schiefe, was bedeutet Geraderichten, welche Schritte sind dafür notwendig) und uns daran erinnert, dass man zuerst immer erkennen muss, wo man selbst gerade steht und welche Ziele für sich und sein Pferd realistisch sind – und dass man sich dann auch über die kleinen Fortschritte freuen soll.

Zuerst einmal muss man sich entscheiden, ob man sein Pferd im „kleinen 1×1 “ der Reiterei reiten will (es soll mich „nur“ entspannt tragen, ich bestimme die Gangart, das Tempo, die Richtung mit feinen Signalen) oder ob man das „Große 1×1“ erstreben will (ich möchte mein Pferd in Selbsthaltung reiten, in Aufrichtung und Dehnung, ich möchte es gerade richten, Seitengänge reiten). Im „Großen 1×1“ ist der Anspruch an Wahrnehmung, Koordination, stabilisierende Haltekraft, Reaktionsgeschwindigkeit, Fitness und Balance bei Pferd und Reiter um ein vielfaches höher.

Das entspannte Freizeitpferd sackt unter dem Reiter im Rücken ab. Ergebnis sind Verspannungen und Überlastung der Gelenke (über die Zeit). Ein Pferd muss erst lernen das Reitergewicht durch aktive Muskelarbeit an den richtigen Stellen zu tragen. Die so erstrebenswerte Losgelassenheit ist daher nicht mit der körperlichen Entspannung gleichzusetzen! Losgelassenheit bedeutet die Entwicklung positiver Körperspannung an den richtigen Stellen und damit die aktive Überwindung der Schwerkraft und Fliehkraft.

Im „Großen 1×1“ lässt sich das Pferd an die Hand stellen und kann sich und den Reiter in Selbsthaltung tragen. Es versteht Signale für Genick beugen oder öffnen, Dehnung und Aufrichtung, Stellung und Biegung und lässt die Halsbasis (den hinteren Hals) positionieren. Dann kann man das Pferd auch bitten den Widerrist aufzurichten und mehr Aktivität in der Hinterhand erfragen.

Ein Pferd, das vorne zu sehr verkürzt wird, läuft nicht in Selbsthaltung. Petra hat uns verschiedene Bilder von negativen und positiven Spannungszuständen des Pferdes gezeigt.
Sie hat uns anhand von Praxisbeispielen die Entwicklung und Erarbeitung der Selbsthaltung in Schritten gezeigt. Kann der Reiter dem Pferd die Selbsthaltung erklären und das Pferd sie eine Weile halten, kann der Reiter sich intensiver um das Geraderichten kümmern. Fällt z.B. ein rechts hohles Pferd auf dem Links-Zirkel in den Zirkel hinein, versuchen manche Reiter das reflexartig mit der Hand und dem Schenkel auszugleichen (was aber so nicht gelingt). Davon kann ich selbst übrigens ein Lied singen.
;-)
Ist die Muskulatur auf der jeweiligen Standbeinseite nicht stark genug, dass sich das Pferd in einer Wendung gegen die Fliehkraft gerade halten kann, wird das Pferd versuchen diese muskuläre Anstrengung zu kompensieren, indem es mit einem Vorderbein z.B. weiter nach innen unter den Schultergürtel tritt und/oder sich im Rumpf verdreht. Gewollt ist, dass das Pferd im Brustkorb gerade und stabil aufrecht bleibt. Eine andere Kompensationsmöglichkeit besteht für die Pferde darin, dass es mit einem Hinterbein nach außen breit tritt, um die Unterstützungsfläche unter der Last zu vergrößern. Dadurch werden jedoch die Bänder und Gelenke der Außenseite des Beines stark belastet. Die daraus resultierende Dreh-Kippbewegung des Beckens ist beim Pferd recht deutlich zu sehen.
Die „natürliche Schiefe“ ist die Folge mangelnder Stabilisation gegen die Schwerkraft (und auf gebogener Linie zusätzlich gegen die Fliehkraft).

Diese Schiefe kann nicht durch Dehnung und Lockerung behoben werden, da die Ursache auch fehlende Kraft und meist auch noch nicht ausgefeilte Koordination ist, sich gegen das Reitergewicht, die Schwer- und die Fliehkraft zu stabilisieren. Das Geraderichten kann also nur durch die vom Reiter gesteuerte aktive muskuläre Stabilisation gegen diese Kräfte erfolgen, d.h. Geraderichten unter dem Reiter geht nur durch gutes Reiten (und nicht vom Boden).

Beim rechts hohlen Pferd „klebt“ die linke Schulter eher an der Bande, das linke Hinterbei schiebt mehr – tritt aber nicht mehr unter, wohingegen das rechte Hinterbein rechts außen vorbei tritt. Die Kruppe kommt nach innen und der Reiter fühlt, dass er tendenziell rechts tiefer sitzt. In den seltensten Fällen ist es übrigens die Schiefe des Reiters, die das Pferd so schief macht. Sondern in der Regel setzen die 500 kg Pferd den Reiter mit seinen 60 kg schief hin.

Wie richte ich ein Pferd jetzt gerade? Das Geraderichten beginnt mit der Kontrolle der Halsbasis in der Wendung. Häufig fällt das Pferd in Wendungen auf eine Schulter.
Oft kommt es vor, dass das rechts hohle Pferd in der Rechtswendung auf die äußere (linke) Schulter fällt und den Zirkel vergrößert. Ein häufiger Reflex von Reitern ist es, daraufhin stärker am inneren Zügel ein zu wirken, um das Pferd nach rechts zu lenken. Das ist allerdings nicht hilfreich.
Geschickter wäre z.B.:

  1. leichte Aussenstellung nach links, Wendung in leichter Konterstellung
  2. Halsbasis bleibt rechts (mit dem rechts etwas geöffneten Zügel evtl. unterstützen)
  3. Nachgebende Zügelhand – Danke

Die Vorhand muss vor die Nachhand gerichtet werden. Die Halsbasis soll mittig bleiben und die Reiterin natürlich mittig sitzen.

Eine Ausschnitt mit einer Erklärung dazu, wie der Reiter erreicht, dass das Pferd den Rücken aufwölbt, seht ihr hier:

Der Teil 3 der Vortragsreihe folgt am 4.3.16 zum Thema „Seitengänge“.


Vielleicht interessieren euch auch die Berichte der anderen Vorträge in der Tierarztpraxis Dr. Nölker:

Warum ein zu eng gerittenes Pferd nie in korrekter Stellung gehen kann

 

Wieso eine Banane gut für die Seitengänge ist

 

Den Pferden ins Maul geschaut – Vortrag Zahngesundheit + Gebisse


Weitere Vorträge von Petra Köpcke:

- keine Veranstaltungen -